Fahrräder aus Aluminium sind leicht, Fahrräder aus Stahl sind schwer. Diese scheinbar logische Behauptung wurde in den letzten Jahrzehnten von fast allen Fahrradherstellern verkündet. Dabei war der Ruf nach Aluminium vor allem eine willkommene Verkaufsparole, um viele gute und leider auch sehr haltbare Stahlfahrräder endlich in Rente zu schicken.
Tatsächlich muss Aluminium im Fahrradbau mit Verstärkungen als Sicherheitsreserve verarbeitet werden. Denn Aluminium ist weich und spröde und bricht sehr schnell. Um einen dauerhaft haltbaren Rahmen herzustellen, der nicht am dritten Bordstein bricht, ist also mehr Material nötig. Das zehrt den Gewichtsvorteil gegenüber Stahl vor allem im Gabelbereich wieder auf. Der härtere und elastischere Stahl auf der anderen Seite lässt sich sehr gut ‚konifizieren‘ bzw. ‚reduzieren‘ – also an weniger belasteten Stellen dünner und damit leichtgewichtiger verarbeiten.
Die Wahrheit ist: Wirklich leicht sind nur gute und hochwertig verarbeitete Fahrradrahmen. Das gilt für alle Rahmen, ob aus Aluminium oder aus Stahl. Minderwertige Rahmen dagegen sind so gut wie immer ziemlich schwer und bei Aluminium im schlimmsten Fall auch bruchgefährdet.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bedeutung des Rahmengewichts für das gesamte Fahrrad. Selbst wenn es mit einem hochwertigen Aluminiumrahmen gelingt, 500g (das ist viel!) gegenüber einem vergleichbaren Stahlrahmen zu sparen, macht das bei einem sehr, sehr leichten, minimal ausgestatteten Trekkingrad gerade einmal 5% des Gesamtgewichts aus. Billige Anbauteile, schwere Reifen, unnütze Ausstattung sind in der Summe viel größere Gewichtstreiber als der wunderbar haltbare und komfortable Stahlrahmen es jemals sein könnte.
Haltbarkeit ist wichtig – vom ersten Tag an
Aluminium ist ein relativ steifer Werkstoff, der Rahmen gut gegen Verwindungen, z.B. am Tretlager, schützt. Aber Aluminium ist auch relativ weich und spröde. Durch die hohe Steifigkeit (=geringe Elastizität) sind Aluminiumrahmen empfindlich gegen mechanische Belastungen wie Stöße und Vibrationen. Und wenn Aluminium bricht, bricht es schnell und plötzlich. Um diesem gefährlichen Verhalten vorzubeugen, sind die erwähnten, zusätzlich Gewicht verursachenden Sicherheitsreserven notwendig. Ist ein Aluminiumrahmen einmal beschädigt, kann er i.d.R. nicht mehr repariert werden.
Carbon bietet tatsächlich einen erheblichen Gewichtsvorteil, den es bei hochwertigen Rennmaschinen voll ausspielen kann. Es ist außerdem extrem steif, was es aber noch bruchanfälliger als Aluminium macht. Carbon ist außerdem hochfest, kann aber schon bei kleinsten mechanischen Einwirkungen (das Rad kippt um) irreparabel beschädigt werden. Ein teurer Rahmen kann durch ein harmloses Missgeschick in Sekunden unbrauchbar werden. Und selbst, wenn nichts passiert ist – um eventuelle Schäden zu entdecken, ist eine aufwändige Prüfung Pflicht.
Bei der Verwindungssteifheit kann der flexible Stahl insbesondere mit Carbon kaum mithalten. Daher gibt es nur noch selten Stahlräder im High-End-Rennbereich. Aber gerade die im Rennbereich eher ungünstige, höhere Flexibilität macht Stahlrahmen so hervorragend geeignet für dein Alltags- und Tourenrad:
Stahlrahmen absorbieren Stöße und Vibrationen deutlich besser und fahren sich dadurch sehr viel komfortabler und angenehmer. (Wer schon jemals mit einem Aluminiumrahmen über Kopfsteinpflaster geschüttelt ist, weiß Bescheid.) Außerdem sind Stahlrahmen insgesamt unempfindlicher gegen alle Zumutungen des Fahrradalltags wie Stöße, Vibrationen, Scheuern etc. und haben dadurch eine viel höhere Lebensdauer. Wenn du auf einer langen Tour bist, kannst du mit einem Alu- oder Carbonrahmen durchaus einen Totalausfall erleben – mit einem Stahlrahmen wird dir das nicht passieren. Denn selbst bei einem Schaden gibt nur Weniges an einem Stahlrahmen, das ein Fachmann nicht reparieren könnte.
Die Elastizität und Langlebigkeit von Stahl ist also nicht erst nach 20 Jahren von Vorteil – sondern vom ersten Lebenstag deines Rades an.
Mit Stahlrahmen wird Fahrradfahren erst richtig umweltfreundlich
Zum Glück hat sich das Thema Nachhaltigkeit von der oberflächlichen Gewissensberuhigung zum relevanten Wirtschaftsfaktor entwickelt. Bei der Betrachtung der Stoffkreisläufe werden daher inzwischen alle umweltrelevanten Aspekte mit in die Betrachtung einbezogen.
Für die Ökobilanz eines Verkehrsmittels spielen also auch der Herstellungsprozess, die Gewinnung der notwendigen Rohstoffe, die Haltbarkeit, die Wiederverwertbarkeit etc. ebenfalls eine Rolle. Grundsätzlich sind Fahrräder schon aufgrund ihres neutralen Treibstoffverbrauchs sehr umweltfreundlich (Kalorien, die die meisten von uns ohnehin loswerden wollen…). Anders sieht es allerdings bei der Gewinnung und Verarbeitung der notwendigen Rohstoffe aus.
Bei der Gewinnung und Verarbeitung von Aluminium und Carbon fallen viele, sehr toxische Abfallprodukte an, die bei Unfällen – wie zum Beispiel 2010 in Ungarn – schnell zu erheblichen Umweltschäden führen können. Auch der Abbau von Aluminium findet sehr häufig unter sehr fragwürdigen Bedingungen statt.
Bezieht man dann noch die oben erwähnte hohe Lebensdauer von Stahl in die Rechnung mit ein, schont Stahl unsere Ressourcen tatsächlich am besten: Der Abbau ist meist politisch und umwelttechnisch unbedenklich, die Herstellung verbraucht weniger Energie und hinterlässt weniger umweltschädliche Abfallprodukte und die einmal produzierten Rahmen haben bei guter Pflege eine nahezu unbegrenzte Lebensdauer.
Wenn du es willst, begleitet dich deine Rakete also ein (gutes) Leben lang.